Warum wären Sie ein guter Oberbürgermeister für Bielefeld?
Ich glaube, Bielefeld braucht einen jungen, unbequemen und vor allem unbestechlichen Oberbürgermeister. Jung, weil Pit Clausen jetzt seit zehn Jahren am Ruder ist bequem geworden ist.
Unbequem, weil ich kein Blatt vor den Mund nehme. Da wo die Probleme sind, gehe ich rein und bin dabei auch sehr unkonventionell. Das habe ich schon im Stadtrat bewiesen. Ich halte mich nicht so gerne an Regeln und auch parlamentarische Gepflogenheiten interessieren mich nicht. Was mich aber interessiert, sind die Beschäftigten und wie wir ihr Leben verbessern können. 90 Prozent der Bielefelder gehören zu dieser Gruppe.
Unbestechlich bedeutet in diesem Zusammenhang: Wir sind die Partei, die keine Spenden von großen Unternehmen erhält. Wir finanzieren uns aus Mitgliederbeiträgen. Das macht uns unabhängig und auch deshalb wäre ich ein guter Oberbürgermeister für Bielefeld.
Also ist Pit Clausen Ihrer Ansicht nach bestechlich?
Nein. Ich möchte ihm keine Straftaten unterstellen. Aber wenn man zehn Jahre im Amt ist, wird man bequem. Es gab zudem einige Ereignisse in Zusammenhang mit den SPD-dominierten Stadtwerken, die Fragen aufwerfen.
Ein Beispiel ist der Betriebsratsvorsitzende, der damals hunderttausende Euro an Bezügen erhalten hat. Da stand schon die Frage im Raum, ob das so richtig war oder ob der Betriebsratsvorsitzende eingekauft war, um gewisse Entscheidungen zu beschleunigen. Es wurde dann ein Strafverfahren eingeleitet. Das Ergebnis: So wie es lief, war es nicht in Ordnung. Aber so etwas passiert, wenn man wie die SPD jahrelang bestimmte Positionen besetzt. Mauscheleien scheinen dann üblich zu sein.
Sie treten also nur für eine Amtszeit an, um von vorneherein etwas Ähnliches für die eigene Partei auszuschließen?
Erstmal heißt es: Fight to win. Und dann schauen wir mal, was sich so durchsetzen lässt.
Die letzte Oberbürgermeisterkandidatin der Linken in Bielefeld hat genau 5,4 Prozent geholt. Ist Ihre eigene Kandidatur nicht reichlich optimistisch?
Wie gesagt: Meine Devise ist „Fight to win“ und wenn man sich mal anschaut, was wir bei Bundestagswahlen in Bielefeld erreichen, sind wir an der 12 Prozent-Grenze. Außerdem haben wir in Bielefeld durch die Corona-Krise eine Menge Menschen, die in Kurzarbeit sind oder ihren Job verloren haben. Wir stehen ganz klar auf der Seite dieser Menschen und wir wissen noch gar nicht, wie sich das alles auf die Wahl auswirken wird.
Von Sahra Wagenknecht oder Bodo Ramelow mal abgesehen, fehlen Ihrer Partei bundesweit bekannte Gesichter. Ist das ein Problem für Ihren Bielefelder Wahlkampf?
Das glaube ich nicht. Wir waren eh nie die Partei, die auf bekannte Gesichter gesetzt hat. Uns waren Inhalte immer wichtiger. Außerdem bin ich überzeugt, dass unsere aktuellen Vorsitzenden einen guten Job machen und ich selbst in Bielefeld auch Inhalte präsentieren kann. Und mal ehrlich: Auf einen Andreas Scheuer oder einen Philipp Amthor können wir doch gut verzichten. Auch einen Showman wie Robert Habeck, der inhaltlich nichts zu bieten hat, brauchen wir nicht.
Wie sind denn Sie persönlich auf die Idee gekommen, Politiker der Linkspartei zu werden?
Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Meine Eltern waren politische Flüchtlinge. Entscheidend waren für mich aber eher Ereignisse wie der Irak-Krieg. Meiner Meinung nach kann es nicht sein, dass Staaten wie die USA in andere Ländern einmarschieren, um sich dort die Ölvorkommen zu sichern.
Der zweite Auslöser war für mich die Agenda 2010, die mit ihren Minijobs und Leiharbeit-Konzepten ein Angriff auf die Arbeitnehmerrechte war und ist. Dagegen bin ich auf die Straße gegangen und wollte mich auch in einer Partei engagieren. Die Jusos waren mir sympathisch, aber die SPD hatte ja leider die Agenda 2010 verbrochen.
Irgendwann gründete sich dann die WASG und da wollte ich unbedingt dabei sein. Meine Eltern waren weniger begeistert und haben mir das. Sie wollten, dass ich erst mein Abitur mache. Im Nachhinein war das eine vernünftige Entscheidung, denn ich war wirklich kein guter Schüler (lacht). 2007 mit dem Abiturzeugnis in der Tasche, habe ich sofort den Mitgliedsantrag bei der WASG ausgefüllt.
Haben Sie diese Entscheidung nie bereut?
Ach nein. Klar, gab es auch mal beschissene Sitzungen und Diskussionen. Aber wir haben hier eine schlagkräftige Truppe, mit der es richtig Spaß macht.
Bielefeld ist nach wie vor hoch verschuldet. Nun planen Sie einige teure Projekte wie den Ausbau des Nahverkehrs, der dann auch noch kostenlos angeboten werden soll. Wie soll sich das finanzieren?
Die Finanzierung der Kommunen ist die eigentliche Schlüsselfrage. Ich bin der Meinung, dass der Bund nicht ständig Aufgaben an die Gemeinden übertragen kann, ohne dass diese finanziell entlastet werden. Gleichzeitig müssen wir an der Steuerschraube drehen und diejenigen zur Kasse bitten, die durch die Steuersenkungsorgien der vergangenen Jahre profitiert haben.
Die SPD hat zudem das Thema der Altschulden völlig verpennt. Allein durch Kürzungen, wird man diese nicht los. Aus Altschulden muss man rauswachsen. Denn Schulden werden immer im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum gemessen. Wenn ich das Wirtschaftswachstum in Zeiten von niedrigen Zinsen also erhöhe, senke ich automatisch die Schulden. Wir müssen daher massiv investieren, um das Wachstum anzukurbeln. Ein Beispiel sind Investitionen in die Stadtbahn, die neue Jobs schaffen würden. Das generiert dann neue Steuereinnahmen.
Also noch mehr Kredite aufnehmen?
Es wäre dämlich, wenn wir das nicht tun würden. Aktuell haben wir eine Niedrigzinsphase und Kommunen erhalten noch bessere Konditionen als Privatpersonen. Wir müssen daher Kredite aufnehmen, das Wirtschaftswachstum und gute Beschäftigungsverhältnisse fördern. Wer jetzt keine Kredite aufnimmt, begeht Raubbau an der Zukunft.
Es gibt zudem unfassbar viele Fördergelder – gerade für Projekte wie den Stadtbahnausbau. 85 Prozent der Kosten des Stadtbahnausbaus könnten über diese Fördergelder finanziert werden und für die restlichen 15 Prozent kann man selbstverständlich Kredite aufnehmen. Diese Fördergelder nicht in Anspruch zu nehmen, ist typisch für die kurzsichtige Politik der letzten Jahre.
Bielefeld leidet unter einem eklatanten Wohnungsmangel. Sie möchten, dass jedes Jahr 3.000 neue Wohnungen gebaut werden, meinen aber, dass die Wirtschaft das nicht über Angebot und Nachfrage regeln kann. Warum eigentlich nicht?
Der Markt funktioniert. Aber nur im Bereich des höherpreisigen Segmentes. Hier gibt es ordentlich Rendite und daher wird hier auch gebaut. Für das niedrige oder mittlere Mietpreissegment passiert aber nichts. Den Privatunternehmen kann ich da auch keinen moralischen Vorwurf machen. Die wollen eben für jeden Euro, den sie investieren, im besten Fall zwei zurückbekommen. Nur, so kommen wir nicht an bezahlbaren Wohnraum.
Und was ist die Lösung?
Die Stadt muss bauen. Denn wenn es der Markt nicht richtet, muss die Stadt einspringen. Dazu ist sie dank günstiger Kredite auch durchaus in der Lage. Durch die Miete wäre auch die Refinanzierung gewährleistet. Das Problem ist eher fehlendes Bauland, da die Stadt jahrelang attraktive Bauflächen an Privatinvestoren verscherbelt hat. Das kann so nicht weitergehen.
Ich möchte aber betonen: Es geht uns nicht ausschließlich darum Sozialwohnungen zu bauen. Uns geht es um bezahlbaren Wohnraum in allen Segmenten.
Einer Ihrer Wahlkampfslogans lautet: „Mehr Sicherheit für Bielefeld. Mit harter Hand gegen Wirtschaftskriminalität“. Das klingt ein bisschen nach Mafia. Glauben Sie wirklich, dass Wirtschaftskriminalität für Bielefelder ein Thema ist?
Ja, denn wir haben beispielsweise regelmäßig Tarifverstöße. Ein Beispiel ist ein Bielefelder Pflegeinstitut, das jahrelang Scheinselbstständigkeiten gefördert hat. Die Mitarbeiter wurden als selbstständige Dienstleiser behandelt, obwohl sie faktisch Angestellte waren. Da wurden Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt, es gab keinerlei Schutz durch das Arbeitsrecht und die Stadt hat das jahrelang nicht nur toleriert, sondern befördert.
Damit sich die Stadt – ohne es juristisch ausdrücken zu wollen – der Beihilfe schuldig gemacht. Das Unternehmen hat sich am Leid der Mitarbeiter dumm und dämlich verdient und die Stadt hat mitgemacht. Wenn das nicht Wirtschaftskriminalität ist, was dann? Bielefeld muss die Stadt sein, in der für jeden Unternehmer klar ist: Wenn ich mich hier ansiedle, muss ich fair spielen und unlautere Mittel gehen nicht.
Als Oberbürgermeister würde ich als erstes alle städtischen Betriebe und Beteiligungen dahingehend prüfen, ob sie den Mindestlohn zahlen, Betriebsräte vernünftig behandeln und Scheinselbstständigkeiten ablehnen. Und wenn sie dies nicht tun, würde ich die Zusammenarbeit kündigen. Das hat kein anderer Oberbürgermeisterkandidat auf dem Schirm.
Mal eine Frage zur Bundespolitik: Können Sie sich vorstellen, dass SPD und LINKE eines Tages wieder zusammenwachsen?
Theoretisch ist alles möglich. Wir sehen aber gerade wieder, dass die SPD mit der Nominierung von Olaf Scholz eher eine Partei für enttäuschte FDP-Wähler ist. Arbeitnehmer vertritt die SPD jedenfalls nicht mehr. Deshalb halte ich ein Zusammengehen in naher Zukunft für ausgeschlossen.
Dabei würde ich mich freuen, wenn die SPD endlich wieder sozialdemokratische Themen anpacken würde. Sie kann diese Themen durch ihre Medienbeteiligungen ja auch bekannter machen, als wir es aktuell können. Aber dafür fehlen der SPD einfach die richtigen Leute und der Mut.
Zurück nach Bielefeld: Was ist für Sie eine unterschätzte Qualität der Stadt?
Schwierig. Ich finde es schade, dass Bielefeld einen so mittelmäßigen Ruf hat. Denn Bielefeld ist die am schnellsten wachsende Stadt in NRW und hat unglaubliches Potenzial. Die Lebensqualität ist super und auch die Kulturszene ist überragend.
Mal angenommen, Sie müssten als Oberbürgermeister auf keinen Stadtrat Rücksicht nehmen. Welche politische Entscheidung würden Sie als erstes umsetzen?
Das ist eine Politikform, die ich völlig ablehne. In der Politik geht es um Mehrheiten und um Argumente. Was ich aber gerne anpacken würde, wäre ein Kauf des Kasernengeländes, um endlich genug bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Herr Dr. Ocak, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.